Kaltvergärung

Die Metho­den der Weiß­wein­ver­gä­rung sind in den letz­ten 35 Jah­ren revo­lu­tio­niert wor­den. Die Mög­lich­keit, den Most künst­lich zu küh­len und dadurch lang­sa­mer fer­men­tie­ren zu las­sen, hat einen neuen Typ von Weiß­wein geschaf­fen: den reintö­ni­gen, duf­ti­gen, fri­schen Wein.
Für viele Weiß­wein­win­zer war frü­her ein natur­küh­ler Gär­kel­ler fast ebenso wich­tig wie ein guter Wein­berg. Er ermög­lichte die gezü­gelte Ver­gä­rung des Weiß­weins ohne tech­ni­sche Hilfs­mit­tel. Eine gezü­gelte Gärung ist des­halb so wich­tig, weil Weiß­weine mehr von Pri­mär­aro­men leben als Rot­weine. Bei hohen Gär­tem­pe­ra­tu­ren würde der Alko­hol ver­sie­den und zahl­rei­che Aro­men verfliegen.
Wie gekühlt wird
Mög­lich wurde die Küh­lung des Mos­tes durch die Ein­füh­rung der Edel­stahl­tanks. Sie küh­len den gären­den Wein auf zwei­er­lei Art. Die ein­fachste Methode ist, kal­tes Was­ser von oben über die Stahl­tanks rie­seln zu las­sen. Die auf­wen­di­gere, aber auch wirk­sa­mere Methode besteht darin, dop­pel­wan­dige Edel­stahl­tanks zu kon­stru­ie­ren, in deren Zwi­schen­räu­men Kühl­schlan­gen ver­lau­fen. Durch sie fließt die Kühl­flüs­sig­keit Gly­kol. Auf diese Weise ist es mög­lich, nahezu jede gewünschte nied­rige Tem­pe­ra­tur im Tank zu erzeu­gen – selbst unter freiem Himmel.
Temperaturkontrollierte Gärführung
Bei einer Tem­pe­ra­tur von etwa 15° C gärt der Most nor­ma­ler­weise inner­halb von ein oder zwei Tagen an. Bald haben sich die Hefen so stark ver­mehrt, dass die Gär­tem­pe­ra­tur auf 18° C bis 20° C ansteigt. Inner­halb kur­zer Zeit würde die Tem­pe­ra­tur sogar bis auf 30°C hoch­schie­ßen, wenn die Küh­lung nicht ein­setzt. Sie bremst den Tem­pe­ra­tur­an­stieg und sorgt so für eine gezü­gelte Gärung. Die meis­ten Weiß­wein­moste wer­den mitt­ler­weile zwi­schen 15° C und 18° C ver­go­ren. Tem­pe­ra­tur­kon­trol­lierte Gär­füh­rung lau­tet der Fach­aus­druck dafür.
Neue Weißwein-Nationen
Die Mög­lich­keit, Moste zu küh­len, hat die Weißwein-Landkarte der Welt grund­le­gend ver­än­dert. Heute kön­nen auch in war­men Regio­nen fri­sche Weiß­weine her­ge­stellt wer­den. Spa­nien, Sizi­lien, Aus­tra­lien, Süd­afrika, Chile und Kali­for­nien sind Bei­spiele dafür. Frei­lich ist dazu ein gro­ßer tech­ni­scher Auf­wand nötig. Viele Gär­kel­ler die­ser war­men Län­der und Regio­nen sehen aus wie Raf­fi­ne­rien: Bat­te­rien von Edel­stahl­tanks, sur­rende Kühl­ag­gre­gate, chrom­blit­zende Rohr­lei­tun­gen, über die der Wein von einem in den ande­ren Tank gepumpt wird.
Die Azidifikation
Eine leben­dige, fruch­tige Säure ist für Weiß­weine, die tem­pe­ra­tur­kon­trol­liert kühl ver­go­ren wor­den sind, beson­ders wich­tig. Doch immer wie­der pas­siert es, daß Weine aus war­men Anbau­ge­bie­ten trotz vor­ge­zo­ge­ner Lese zu wenig Säure auf­wei­sen. In war­men Wein­bau­re­gio­nen oder in hei­ßen Jah­ren, in denen die natür­li­che Säure auf Werte unter vier Gramm pro Liter sinkt, kann daher eine Anrei­che­rung des Mos­tes mit Säure sinn­voll sein. Azi­di­fi­ka­tion heißt der Fach­aus­druck. In Aus­tra­lien, Süd­afrika, Chile und Kali­for­nien ist sie grund­sätz­lich gestat­tet und wird häu­fig prak­ti­ziert. Dabei wird dem Wein Zitronen- oder Apfel­säure zuge­setzt. In Europa ist eine Azi­di­fi­ka­tion sel­ten. Bei chap­ta­li­sier­ten Wei­nen ist sie sogar verboten.
Snobs sprechen von “Tankweinen”
Gegen­über den plum­pen, teil­weise oxy­dier­ten, ger­bi­gen Weiß­wei­nen der Ver­gan­gen­heit stellt die neue Gene­ra­tion von Weiß­wei­nen zwei­fel­los einen Fort­schritt dar. Doch nicht jeder Wein­trin­ker liebt sie. Man­che Weins­nobs nen­nen sie ver­ächt­lich „Tank­weine“, weil sie geschmack­lich zu ein­di­men­sio­nal und bis­wei­len schwer einer Reb­sorte oder einer Region zuzu­ord­nen sind. Außer­dem führt die Ver­gä­rung unter Sau­er­stoff­ab­schluß häu­fig dazu, dass die Weine hin­ter­her umso anfäl­li­ger für Oxy­da­tion sind. Sie altern auf der Fla­sche rela­tiv schnell und wer­den früh fir­nig. Es sind also Weine für den schnel­len Genuss. Die anfäng­li­che Begeis­te­rung für eine allzu reduk­tive Ver­gä­rung ist bei Win­zern, die facet­ten­rei­che, anspruchs­volle Weine erzeu­gen wol­len, schon seit eini­gen Jah­ren merk­lich gesun­ken. Sie suchen nach Wegen, um reintö­nige und den­noch gehalt­volle Weine zu erhal­ten. Es gibt aber auch Weiß­weine, die bei Tem­pe­ra­tu­ren bis 25°C ver­go­ren wer­den, ohne dass sie dabei Scha­den neh­men. Im Gegen­teil: Je höher die Gär­tem­pe­ra­tur, desto stär­ker rea­gie­ren die Koh­len­was­ser­stoff­ver­bin­dun­gen, die Trä­ger der Aro­men sind, mit ande­ren Sub­stan­zen. Dadurch ändert sich der Geschmack des Weins. Neben pri­mär­fruch­tige Aro­men tre­ten kom­plexe Gär­aro­men, wie sie in man­chen Char­don­nays, Sau­vi­gnons und Viognier-Weinen zu fin­den sind.
Kaltmazeration
Unter Kalt­ma­ze­ra­tion ver­steht man die Mai­schung der Trau­ben bei nied­ri­gen Tem­pe­ra­tu­ren (0 bis 5 °C), ohne daß es zu einer Gärung kommt. Sie wird der eigent­li­chen Gärung vor­ge­schal­tet. Bei roten Trau­ben dient sie vor allem dazu, Farbe aus den Scha­len zu zie­hen und den Wein dunk­ler zu machen. Für die Farb­ex­trak­tion ist näm­lich kein Alko­hol nötig. Auch in einer wäß­ri­gen Lösung wer­den die Ant­hocyane extra­hiert. Bei der Vini­fi­zie­rung von Pinot-Noir-Trauben wird eine Kalt­ma­ze­ra­tion oft ange­wandt. Sie kann bis zu einer Woche dau­ern. Aber auch bei Weiß­wei­nen wird gele­gent­lich eine Kalt­ma­ze­ra­tion vor­ge­nom­men, um kräf­ti­gen Wei­nen mehr Aroma zu geben. Statt Kalt­ma­ze­ra­tion wird auch der Aus­druck Hül­sen­mai­schung verwendet.
Kaltvergärung
Die unbe­grenz­ten Mög­lich­kei­ten der Küh­lung ließ expe­ri­men­tier­freu­dige Önolo­gen bereits in den 1970er Jah­ren einige Weine bei 12° , 10° oder sogar bei 8° C ver­gä­ren. Bei so nied­ri­gen Tem­pe­ra­tu­ren ver­meh­ren sich die Hefen nur sehr zögernd. Ent­spre­chend lang­sam und lange gärt der Most. Resul­tat: extrem fri­sche, reintö­nige, attrak­tive Weine mit kna­cki­gen Aro­men – gerade das rich­tige für eine neue Schicht von Wein­trin­kern, die unkom­pli­zierte Weine lie­ben und auf ein aus­ge­präg­tes Sor­ten­aroma kei­nen gro­ßen Wert legen. Kalt­ver­gä­rung lau­tet der Fach­aus­druck. Die Kalt­ver­gä­rung ist nur mit bestimm­ten, genau selek­tier­ten Hefe­stäm­men mög­lich, die auch bei nied­ri­gen Tem­pe­ra­tu­ren arbei­ten. Außer­dem müs­sen die Moste sehr gut vor­ge­klärt sein. Scharf vor­ge­klärte Moste aber sind arm an Pek­ti­nen: an Koh­len­hy­drat­po­ly­me­ren, wel­che die Eigen­schaft haben, Mole­küle „zusam­men­zu­schwei­ßen“ und dafür zu sor­gen, daß der Wein eine höhere Vis­ko­si­tät erhält, also dick­flüs­si­ger wird. Pek­ti­n­arme Moste erge­ben kör­per­arme, eher süf­fige Weine. Kaltvergorene Weine sind daher sel­ten viel­schich­tig. Ihre Aro­men­struk­tur ändert sich wenig beim Übergang vom Most­sta­dium zum Wein­sta­dium. Die Weine sind trau­big – aber nicht wei­nig. Das typi­sche Bei­spiel eines kalt­ver­go­re­nen Weiß­weins ist der ita­lie­ni­sche Pinot Grigio.