Die Weinlese

Die Lese ist der Höhe­punkt eines jeden Wein­jah­res, aber auch der kri­tischste Punkt. Nur durch sorg­fäl­tige Lese­pla­nung gelingt es, die Trau­ben in der Qua­li­tät, die der Wein­berg her­vor­ge­bracht hat, auf die Kel­ter zu bringen.
Vor­der­grün­dig ist die Lese ein ein­fa­cher Vor­gang. Die Trau­ben wer­den mit einer Schere vom Stiel geschnit­ten, in Kör­ben oder Wan­nen aus Kunst­stoff gesam­melt, dann in höl­zerne Büt­ten umge­füllt, die in einen Trau­ben­trans­por­ter ent­leert wer­den. Der Trau­ben­trans­por­ter bringt das Lese­gut zum Kel­ter­haus, wo es ver­ar­bei­tet wird. In gro­ben Zügen spielt sich die­ser Vor­gang über­all auf der Welt, wo Wein erzeugt wird, so ab. Ob aus sehr guten Trau­ben auch ein eben­sol­cher Wein wird, hängt aller­dings von vie­len Details ab, etwa sau­be­rem, geeig­ne­tem Lese­ge­schirr. Außer­dem dür­fen die Büt­ten, Lese­körbe und Lese­wan­nen nicht zu groß sein und nicht bis zum Rand mit Trau­ben voll­ge­packt wer­den. Sonst kann es pas­sie­ren, dass die unters­ten Trau­ben durch das Gewicht der über ihnen lie­gen­den gequetscht wer­den. Die Schale rei­fer Bee­ren ist emp­find­lich dünn.
Château Haut Brion

Château Haut Brion in Bordeaux: Je dichter der Weiberg beim Keller liegt, desto rascher gelangen die Trauben in den Keller.

Gefahr der Oxidation
Am wich­tigs­ten ist es, die Trau­ben mög­lichst unver­letzt und schnell auf die Kel­ter zu brin­gen. Aus­tre­ten­der Trau­ben­saft oxy­diert rasch, wenn er Sau­er­stoff aus­ge­setzt ist – ins­be­son­dere bei wei­ßen Trau­ben. Um eine Oxy­da­tion zu ver­hin­dern, müs­sen die Trau­ben geschwe­felt wer­den – eine erste Min­de­rung der Qua­li­tät. Hinzu kommt, daß aus­lau­fen­der Trau­ben­saft ange­sichts der hohen Tem­pe­ra­tu­ren, die oft­mals noch wäh­rend der Lese herr­schen, angä­ren kann. Most oder Mai­sche bekom­men durch solch eine wilde Gärung leicht einen Essigstich. Außer­dem wer­den durch den Trau­ben­saft Phe­nole aus den Stie­len gelaugt – ein bei wei­ßen wie roten Trau­ben glei­cher­ma­ßen uner­wünsch­ter Vorgang.
Schnelle Verarbeitung
Je dich­ter Wein­berg und Kel­ler bei­ein­an­der lie­gen, desto weni­ger Pro­bleme tau­chen auf. Bei Spit­zen­wein­gü­tern wie der Domaine Romanée-Conti oder Châ­teau Mou­ton Roth­schild sind die Trau­ben maxi­mal zwei Stun­den nach der Lese im Kel­ler. Genos­sen­schaf­ten und Groß­kel­le­reien sind froh, wenn es ihnen gelingt, ihre Trau­ben wenigs­tens am glei­chen Tag zu kel­tern, an dem sie gele­sen wor­den sind – was ange­sichts star­rer Arbeits­zei­ten und rigi­der Arbeits­vor­schrif­ten kei­nes­wegs ein­fach ist.
Geringere Jahrgangsunterschiede
In feuch­ten Herbs­ten wen­den einige Châ­teaux in Bor­deaux völ­lig neue Tech­ni­ken an, um die Fol­gen des Regens mög­lichst gering zu hal­ten. Damit die Bee­ren sich durch die plötz­li­che Was­ser­zu­fuhr nicht auf­blä­hen und somit der wert­volle Trau­ben­saft ver­wäs­sert, haben einige Güter den Boden mit Plas­tik­fo­lien abge­deckt, damit das Was­ser nicht in ihn ein­drin­gen kann. Andere Châ­teaux ver­su­chen, den ver­wäs­ser­ten Most durch künst­li­chen Was­ser­ent­zug zu kon­zen­trie­ren (sog. „Umkehr- Osmose“). Wie­der andere schi­cken ihre Trau­ben vor dem Mah­len durch eine Heiß­luft­schleuse, in der sie wenigs­tens äußer­lich getrock­net wer­den. Die Besit­zer von Châ­teau Pétrus haben gele­gent­lich einen Heli­ko­pter zwei Stun­den lang tief über dem Wein­berg krei­sen las­sen, um die regen­nas­sen Trau­ben zu trock­nen. Nicht alle diese Maß­nah­men hat­ten einen wirk­lich durch­schla­gen­den Erfolg. Viele Ver­su­che waren nur teuer. Sicher ist aber, daß die Nach­teile schlech­ter Jahr­gänge heute zumin­dest erheb­lich gemil­dert wer­den können.
Nachtlese
Um Oxy­da­tion oder eine wilde Gärung zu ver­hin­dern, sind viele Wein­gü­ter in hei­ßen Anbau­ge­bie­ten Aus­tra­li­ens, in denen die Tages­tem­pe­ra­tu­ren zwi­schen 35° C und 45° C lie­gen, dazu über­ge­gan­gen, nachts zu lesen. Dann kühlt es ab: Auf die sonst unum­gäng­li­che Schwe­fe­lung der Trau­ben kann ver­zich­tet wer­den. Aller­dings ist die Nacht­lese nur mög­lich, wenn maschi­nell gele­sen wird. Die Ern­te­ma­schi­nen sind mit Halo­gen­schein­wer­fern aus­ge­stat­tet, die die Reben hell erleuchten.

Handlese oder maschinelle Lese?

VollernterIn immer mehr Wein­an­bau­ge­bie­ten wird die Lese nicht mehr von Hand, son­dern von Maschi­nen erle­digt, soge­nann­ten Voll­ern­tern. Das geschieht nicht nur in Massenwein-Anbaugebieten. Auch renom­mierte Domä­nen im Bur­gund und Grand-Cru- Classé-Châteaux aus Bor­deaux set­zen im Herbst Lese­ma­schi­nen ein. Sie fah­ren auf hohen Rädern über die Reb­zei­len und sind so kon­stru­iert, daß sie die Trau­ben durch einen kom­pli­zier­ten Schüttel- oder Schlag­me­cha­nis­mus von den Frucht­ru­ten tren­nen. Der größte Vor­teil der Voll­ern­ter besteht in ihrer Schnel­lig­keit. Sie ern­ten in einer Stunde, wozu sonst 30 Lesehel­fer nötig wären. Auf diese Weise ist es meist mög­lich, alle Trau­ben zum idea­len Lese­ter­min ein­zu­brin­gen. Auch in feuch­ten Jah­ren bewährt sich der Voll­ern­ter, da er in den kur­zen Regen­pau­sen zumin­dest einen gro­ßen Teil der Trau­ben ern­ten kann. Frei­lich müs­sen die Trau­ben, gerade wenn Grau­schim­mel auf­tritt, von Hand nach­ver­le­sen wer­den. Selek­tie­ren kann die Maschine nicht. Die Nach­teile des Voll­ern­ters: Die Laub­wand der Reben wird bei der maschi­nel­len Lese oft in Mit­lei­den­schaft gezo­gen, und die Bee­ren wer­den häu­fi­ger beschä­digt als bei der Handlese.